Wie Arbeit uns zum Aufblühen bringen kann
Ein Gespräch mit Jacqui Brassey von McKinsey über ganzheitliche Gesundheit und Burnout.
Während Organisationen weltweit damit ringen, das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden zu fördern, verlagert sich die Diskussion von oberflächlichen Benefits hin zu tiefergehenden, systemischen Veränderungen.
Jacqui Brassey, Co-Leiterin von Healthy Workforces und Director of Research Science am McKinsey Health Institute, steht an vorderster Front dieses Wandels. Ihre Arbeit konzentriert sich darauf, wie Organisationen ganzheitliche Gesundheit – psychisch, körperlich, sozial und spirituell – fördern können und warum es entscheidend ist, den Unterschied zwischen Burnout und Erschöpfung zu verstehen, um gesündere Arbeitsplätze zu schaffen. Work Better sprach mit Jacqui darüber, was es braucht, damit Menschen bei der Arbeit aufblühen können.

Work Better: Was bedeutet „ganzheitliche Gesundheit“ und warum ist sie am Arbeitsplatz wichtig?
Jacqui Brassey: Am McKinsey Health Institute definieren wir ganzheitliche Gesundheit als die Integration von vier Dimensionen: psychische, körperliche, soziale und spirituelle Gesundheit. Diese sind eng miteinander verbunden. Zum Beispiel unterstützt körperliche Gesundheit die geistige Klarheit, und soziale Beziehungen fördern die emotionale Resilienz. Geistige Gesundheit – also ein Gefühl von Sinn und Zweck – wird oft übersehen, ist aber enorm wichtig. Wir haben festgestellt, dass positive Erfahrungen am Arbeitsplatz stark mit besserer ganzheitlicher Gesundheit verbunden sind.
“Arbeit ist nicht nur eine Stressquelle – sie kann, wenn sie durchdacht gestaltet ist, ein starker Hebel für Wohlbefinden sein.”
JACQUI BRASSEY
WB: Burnout beschäftigt viele Menschen. Wie unterscheiden Sie zwischen Burnout und Erschöpfung?
J.B.: Das ist ein entscheidender Unterschied. Burnout wird oft mit Müdigkeit verwechselt, ist aber ein mehrdimensionales Konstrukt. Es umfasst Erschöpfung, ja, aber auch mentale Distanz (sich von der Arbeit entfremdet fühlen), kognitive Beeinträchtigung (Konzentrationsschwierigkeiten) und emotionale Beeinträchtigung (Probleme mit Empathie oder Emotionsregulation). Die meisten Umfragen messen nur Erschöpfung – das ergibt ein unvollständiges Bild. Man kann erschöpft sein, ohne ausgebrannt zu sein – und umgekehrt. Das vollständige Verständnis von Burnout hilft Organisationen, wirksamer zu reagieren.
WB: Was sind derzeit die wichtigsten Faktoren, die zu Burnout beitragen?
J.B.: Unsere Forschung zeigt mehrere zusammenlaufende Trends. Erstens hat die Pandemie das Bewusstsein für Gesundheit und Wohlbefinden geschärft, insbesondere durch das Arbeiten von zu Hause. Zweitens hat sich unsere Arbeitsweise stark verändert – hybride Modelle, globale Zusammenarbeit und ständige Erreichbarkeit erhöhen die Komplexität. Drittens verändert die rasante technologische Entwicklung, einschließlich KI, die Arbeitswelt und schafft Unsicherheit. All das führt zu einem Gefühl von Unvorhersehbarkeit und Druck. Wenn Menschen nicht die Werkzeuge oder Unterstützung haben, damit umzugehen, steigt das Risiko für Burnout.
WB: Sie haben weltweit erforscht, was Burnout und Wohlbefinden beeinflusst. Was haben Sie herausgefunden?
J.B.: Wir haben 30.000 Menschen in 30 Ländern befragt und ein Modell verwendet, das Arbeitsanforderungen und -ressourcen betrachtet. Anforderungen sind z. B. Rollenunklarheit, Arbeitsplatzunsicherheit und toxisches Verhalten – Faktoren, die anhaltende Anstrengung erfordern und Stress verursachen können. Ressourcen sind Dinge wie psychologische Sicherheit, Entwicklungsmöglichkeiten und Zugehörigkeitsgefühl.
Wir fanden heraus, dass Anforderungen stärker mit Burnout korrelieren, während Ressourcen eher mit positiver ganzheitlicher Gesundheit zusammenhängen. Das bedeutet: Burnout reduzieren und Wohlbefinden fördern erfordert unterschiedliche Strategien.
“Man kann Burnout nicht mit einem Yogakurs lösen, wenn das eigentliche Problem toxische Führung oder unklare Erwartungen sind.”
JACQUI BRASSEY
WB: Was sollten Organisationen anders machen?
J.B.: Zunächst müssen sie ihre Ausgangssituation verstehen. Haben Mitarbeitende Burnout-Symptome? Fühlen sie sich wohl? Ohne diese Daten ist es schwer zu wissen, wo man ansetzen soll. Zweitens müssen Maßnahmen gezielt sein. Viele Organisationen investieren in reaktive Lösungen wie Hilfsprogramme für Mitarbeiter*innen oder psychosoziale Betreuung – wichtig, aber nicht ausreichend. Es braucht auch proaktive Strategien, die die Ursachen von Stress angehen. Drittens: Die wirksamsten Lösungen entstehen oft auf Teamebene. Teams haben unterschiedliche Bedürfnisse – Führungskräfte müssen befähigt werden, diese zu erkennen und darauf zu reagieren.
WB: Welche Rolle spielt die physische Arbeitsumgebung?
J.B.: Die Umgebung kann Wohlbefinden fördern oder behindern. Natürliches Licht, Pflanzen und Bewegungsräume können die körperliche und soziale Gesundheit fördern. Andererseits können laute Großraumbüros oder schlecht konzipierte virtuelle Besprechungspläne den Stress erhöhen. Auch Bildschirmarbeit hat Auswirkungen – endlose Online-Meetings, lange Arbeitszeiten, weniger soziale Interaktion. Die Gestaltung von Räumen, die die sensorische Regulierung und die soziale Verbindung fördern, kann einen großen Unterschied machen.
Hören Sie jetzt das vollständige Gespräch auf Englisch im Work Better Podcast: “Burnout Isn’t What You Think It Is with Jacqui Brassey.”
WB: Welche persönlichen Routinen helfen Ihnen, Ihr Wohlbefinden zu erhalten?
J.B.: Ich habe ein „persönliches Betriebsmodell“ mit festen Routinen. Ich gehe täglich spazieren – zwischen Meetings oder abends mit meinem Mann. Ich nutze einen Stehschreibtisch mit Laufband und mache Atemübungen zur Entspannung.
Außerdem verwalte ich meinen Kalender sorgfältig. Wenn ich sehe, dass ein Tag voller aufeinanderfolgender Meetings ist, organisiere ich ihn um, um Pausen zu schaffen. Und ich blocke immer Zeit fürs Abendessen mit der Familie. Diese Routinen helfen mir, geerdet und energiegeladen zu bleiben.
WB: Haben Sie abschließende Gedanken für Führungskräfte in unsicheren Zeiten?
J.B.: Beginnen Sie mit Zuhören. Verstehen Sie, was Ihre Mitarbeitenden erleben und brauchen. Entwickeln Sie dann eine Strategie, die sowohl reaktive als auch präventive Maßnahmen umfasst. Und denken Sie daran, dass es nicht nur darum geht, das Richtige zu tun – es geht auch um die Leistung. Wer sich wohlfühlt, arbeitet besser.

