Lernen

Neue Erkenntnisse zum Aktiven Lernen

Professor Dr. Robert Talbert spricht mit uns über seine Forschungsergebnisse zu Unterrichtsräumen für aktives Lernen

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„Aktives Lernen nimmt die Studierenden in die Verantwortung. Sie sind dafür verantwortlich, wie sie den Stoff verstehen“, erklärt Dr. Robert Talbert, Professor und stellvertretender Leiter des Fachbereichs Mathematik an der Valley State University. „Ein Unterrichtsraum für aktives Lernen ist jede beliebige physische Umgebung, die diesen Prozess ermöglicht. Die Studierenden können auf ihre Art arbeiten und sich den Lernstoff selbstständig aneignen.“

Talbert ist Co-Autor von „A Space for Learning“ (Ein Raum zum Lernen) mit Einblicken in die Forschung über aktive Lernräume. Zusammen mit Anat Mor-Avi, einer Doktorandin an der School of Architecture des University of Illinois Institute of Tech, wertete er Studien über 32 Unterrichtsräume an Hochschulen und fünf an Grund- und weiterführenden Schulen aus, um den Einfluss der Lernumgebung für aktives Lernen zu erforschen.

360: Viele Lehrer beschäftigen sich hauptsächlich damit, was sie unterrichten. Sie haben viel Zeit darauf verwendet zu untersuchen, wie sie unterrichten. Warum?

Robert Talbert: Bildung ist nicht nur Transfer von Wissen. Es ist menschliche Interaktion. Man kann denselben Stoff zwei komplett unterschiedlichen Menschen vorlegen und man wird zwei komplett unterschiedliche Lernergebnisse erhalten. Man sollte sich natürlich darauf konzentrieren, was man unterrichtet, aber gleichzeitig muss eine Interaktion mit den Studierenden stattfinden, damit man sehen kann, was sie daraus machen.

 

360: Sie haben zwei Jahrzehnte damit verbracht, die Wissensvermittlung aus einer anderen Perspektive zu betrachten und ausführliche Forschungen zum Thema aktives Lernen betrieben. Wie würden Sie aktives Lernen beschreiben?

RT: Aktives Lernen bedeutet, dass der Akt des Verstehens wieder zurück in die Hände der Studierenden gelangt und sie die Verantwortung dafür tragen. Der Lehrer hat lediglich die Aufgabe, die richtige Umgebung zu schaffen, den Ablauf zu beaufsichtigen und sicherzustellen, dass die Studierenden das tun, was sie tun müssen, um den Stoff zu verstehen.

360: Wie sieht eine aktive Lernumgebung aus?

RT: Unterrichtsräume für aktives Lernen können sehr unterschiedlich aussehen. Hinsichtlich des Lernerfolgs und der Motivation der Lernenden haben die Räume am besten abgeschnitten, die alles zur Verfügung gestellt haben, was zum Lernen benötigt wird. Das kann die Möglichkeit zu körperlicher Bewegung, aber auch ein ruhiger Ort sein. Es ist notwendig, dass Informationen von einem Studierenden zum anderen, vom Lehrer zu den Studierenden und von Studierenden auf die Whiteboards übertragen werden können. Außerdem sollten sie auf jede erdenkliche Weise festgehalten oder verändert werden können, die für die Studierenden sinnvoll ist.

360: Welche Themen tauchten während Ihrer Forschungsarbeit auf?

Verb Active Media Table

RT: Wir untersuchten vier wesentliche Fragen. Inwieweit beeinflussen Unterrichtsräume für aktives Lernen die quantitativ messbaren Lernergebnisse, wie etwa Prüfungsergebnisse und ähnliches? Zweitens, welchen Einfluss haben Unterrichtsräume für aktives Lernen auf das Engagement der Studenten? Was bedeutet es für einen Studenten, sich zu engagieren? Wir betrachteten Motivation schließlich als Indikator für Engagement. Wir schauten uns Studien an, bei denen die Motivation der Studierenden, etwas zu lernen, im Vordergrund stand. Außerdem haben wir uns damit beschäftigt, wie Unterrichtsräume für aktives Lernen die Lehrer beeinflussen. Und schließlich stellten wir uns die Frage: Welche spezifischen Elemente machen in den Unterrichtsräumen den größten Unterschied?

360: Sie haben eine Studie der University of Minnesota gefunden, bei der zwei unterschiedliche Arten von Unterrichtsräumen untersucht wurden – ein traditioneller Hörsaal und ein Unterrichtsraum für aktives Lernen. Was hat man herausgefunden?

RT: Es war ein Chemie-Kurs mit 350 Studenten, der dreimal wöchentlich in einem großen Hörsaal stattfand. Sie entschieden sich, einen Unterrichtsraum für aktives Lernen mit 13 Tischen zu gestalten, an denen jeweils neun Studierende Platz finden. Diese sollten für Kleingruppeninteraktion sorgen. Sie teilten den Kurs in drei Gruppen von rund 100 bis 115 Studenten auf und trafen sich mit jeder nur einmal die Woche. Die anderen Kurstreffen wurden durch bewusst gewählte und genau strukturierte Onlinemodule ersetzt.

Es gab eine Kontroll- und eine Versuchsgruppe. Die Gruppe, die sich sowohl einmal wöchentlich persönlich im Unterrichtsraum für aktives Lernen als auch online sah, übertraf die Gruppe, die sich dreimal wöchentlich im traditionellen Hörsaal traf, bei weitem.

360: Was konnten Sie bezüglich des Einflusses von Unterrichtsräumen für aktives Lernen auf die Lehrer herausfinden?

RT: In einer anderen Studie erklärte Chris Brooks von der University of Minnesota einer Gruppe von Dozenten folgendes: „Wir werden Sie in diesen Unterrichtsraum für aktives Lernen unterbringen, aber bitte ändern Sie nichts an Ihrer Vorgehensweise“. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Professoren ihre Art des Unterrichtens änderten, obwohl sie es nicht sollten. Die Dozenten waren sich dessen nicht einmal bewusst. Der Raum schien die Dozenten geradezu dazu zu drängen, sich weiterzuentwickeln, sie hielten viel weniger Vorträge. Es wurde viel mehr diskutiert als im traditionellen Unterrichtsraum.

Die erstaunlichste Entdeckung war, dass man in diesen Unterrichtsräumen automatisch aktive Lernmethoden anwendet, selbst wenn man versucht, bewusst davon Abstand zu nehmen.

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360: Sie befassten sich auch mit einer Studie, die alle Arten von Variablen untersuchte, um die Motivation von Studierenden zu messen. Erzählen Sie uns, was Sie herausgefunden haben.

RT: Wes Imms und Terry Byers, zwei australische Forscher, haben eine Forschungsmethode namens „single subject design“ entwickelt, bei der es keine Kontroll- oder Versuchsgruppen gibt. Alles bleibt gleich – bis auf den Raum.

Sie führen eine Gruppe von Schülern sechs Wochen lang durch eine Unterrichtseinheit. Anschließend wird die ganze Klasse in einem Unterrichtsraum für aktives Lernen untergebracht. Danach kommen sie für weitere sechs Wochen wieder in einen traditionellen Raum.

Die Studie zeigte eine gewisse Grundmotivation im traditionellen Klassenraum. Wenn die Schüler in den Klassenraum für aktives Lernen kommen, geht der Wert nach oben. Ihre Einstellung wechselt von „Es ist ganz okay, hier zu sein“ zu „Ja, es gefällt mir wirklich“.

360: Was wollen Sie den Menschen anhand der Forschungsergebnisse, die Sie gemacht haben, über Lernerfolge, das Engagement der Schüler und die Aktivitäten der Lehrer mit auf den Weg geben?

RT: Es läuft alles auf menschlichen Interaktion hinaus. Darum geht es beim Unterrichten. Es geht um die Interaktion zwischen Lehrern und Schülern bzw. zwischen den einzelnen Schülern. Jeder Aspekt eines Unterrichtsraums für aktives Lernen, der dazu beiträgt, dass menschliche Begegnungen unkompliziert ablaufen, wird gute Ergebnisse liefern. Es gab beispielsweise eine relativ frühe Studie, bei der ein bereits vorhandenes, traditionelles Klassenzimmer neu ausgestattet wurde, indem man alle Stühle herausnahm und neue Sitzmöglichkeiten für Gruppen schuf, die zwar am Boden festgemacht waren, aber mit denen sich die Schüler um 360 Grad drehen und sich so ihren Sitznachbarn zuwenden konnten. Man erzielte tolle Ergebnisse allein durch die Tatsache, dass man den Schülern ermöglichte, miteinander zu reden. Die besten Ergebnisse erzielt man dadurch, dass man den Informationsfluss und die Kommunikation zwischen den Menschen vereinfacht.

 

 

Dr. Robert Talbert ist Professor und stellvertretender Leiter des Fachbereichs Mathematik an der Grand Valley State University (GVSU). In seiner 21-jährigen Lehrtätigkeit war er am Franklin College und Bethel College, bevor er zur GVSU kam. Talbert hat einen Bachelor of Science der Tennessee Technological University und einen Masterabschluss und Doktortitel der Vanderbilt University, alle in Mathematik.

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