Lernen

Lernen während und nach der (Corona-)Pandemie

Wie sich die Coronakrise auf den Lehrbetrieb und die Unterrichtsstätten ausgewirkt hat.

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Die Technische Universität Wien, spezialisiert auf die Bereiche Architektur und Raumplanung, ist mit knapp 30 000 Studenten eine der renommiertesten Universitäten in Österreich.
Das 360°-Team sprach mit Dipl.-Ing. Yulia Kartysh und Univ.Prof. Prof. h. c. Dipl.-Ing. Dietmar Wiegand vom Forschungsbereich Projektentwicklung.

360°: Welche Maßnahmen haben Sie an der TU Wien getroffen, um auf die neue Situation zu reagieren?

Dietmar Wiegand: Wir haben die Präsenzlehre bis Ende September ausgesetzt. Das heißt, wir unterrichten unsere Studierenden in den verschiedenen Studiengängen ausschließlich digital. In der Fakultät für Architektur und Raumplanung und speziell in unserem Fach Projektentwicklung ist das problemlos möglich. Wir geben den Studierenden Aufgaben, die sie zeitlich frei bearbeiten können. Die Vorlesungen sind aufgeteilt in kleine Videosequenzen, die sie sich anschauen können. Anschließend gibt es dazu ein paar Verständnisfragen zu beantworten.

Ein anderer Teil der Lehre basiert auf dem sogenannten „selbstbestimmten Lernen“. Die Studierenden wählen ein Thema, das sie im Laufe des Semesters bearbeiten und wir coachen per Videokonferenz. Die Umstellung auf E-Learning haben die Studenten sehr gut angenommen. Sie sind genauso motiviert wie zuvor.
Wir haben immer schon E-Learning Elemente in unseren Vorlesungen integriert. Durch die Corona-Pandemie gab es eine vollständige Umstellung, aber das hat die Studierenden nicht völlig unvorbereitet getroffen.

360°: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Umstellung auf reines E-Learning gemacht?

D.W.: E-Learning ist ein Teil der digitalen Lehre und hauptsächlich asynchron. Das heißt, Studierende lernen per Video, wenn sie Zeit haben und nicht nach einem Stundenplan. Lehrer(innen) korrigieren die Aufgaben ebenfalls zeitlich flexibel. Solange das nicht zu Nachtschichten führt, ist es vertretbar.

Für die synchrone Kommunikation werden Videokonferenz-Tools genutzt. Diese sind sehr demokratisch. Jeder hat eine bestimmte Fläche auf dem Bildschirm, jeder ist sichtbar. Der Moderator kann die Gespräche steuern, sodass auch schüchterne Studierende zu Wort kommen.

Ich habe gemerkt, wie viel Zeit ich mit Pendeln verbringe: von Zuhause auf die Arbeit, aber auch innerhalb der Universität. Vom Büro in den Hörsaal brauche ich fünf bis zehn Minuten, dann muss z. B. der Schlüssel abgeholt und der Beamer eingerichtet werden. All diese Dinge entfallen. Diese verlorene Zeit kann ich jetzt nutzen, indem ich bestimmte Dinge von zu Hause aus online organisiere. Das werde ich auch in Zukunft beibehalten.

In den letzten zwei Monaten hat sich einiges hinsichtlich der technischen Infrastruktur verändert. Wir kannten seitens des Lehrstuhls nicht alle Dinge, die unsere eigene Internet-Plattform abbilden kann. Es wurden während der Krise noch Lizenzen hinzugekauft. Das war ein dynamischer Prozess.

Wir haben auch Neues gelernt was die soziale Interaktion angeht, alles was außerhalb von dem eigentlichen Lernprozess normalerweise physisch stattfindet. Ich habe nicht den Eindruck, dass die soziale Interaktion weniger wird, sie ist einfach anders. Wie vorher sind wir für dringende Anfragen von Studierenden da.

Allerdings vermisse ich kreative Prozesse wie z. B. Brainstormings, wo man Zettel an die Wand klebt. Das haben wir online bisher nicht so gut hingekriegt. Vielleicht fehlt uns dort auch noch die Übung. Um gemeinsam innovativ zu sein, haben wir jetzt wieder begonnen, uns im Büro zu verabreden. Es funktioniert einfach besser, wenn alle Teilnehmer zusammen im gleichen Raum sind; wahrscheinlich auch in Zukunft.

360°: Wie sehen Sie die Zukunft von E-Learning nach dieser Erfahrung?

D.W.: Ich gehe davon aus, dass sowohl die Studierenden als auch Lehrende auf Grund der Erfahrungen, die in den letzten Monaten gemacht wurden, bestimmte Dinge weiterhin online erledigen werden. Wir waren vorher etwa bei 20 Prozent            E-Learning und 80 Prozent Präsenzveranstaltungen und jetzt sind wir bei 100 Prozent E-Learning. Ich vermute, dass wir in Zukunft irgendwo bei 50 bis 60 Prozent E-Learning bleiben werden.

Vorlesungen, die jetzt sowieso aufgezeichnet worden sind, werden digital bleiben.

Die Betreuung von Studierenden und von kreativen Prozessen wird jedoch weiterhin in den Universitäten stattfinden, weil es einfach besser funktioniert. Alles was mit Innovation zu tun hat, wird vor Ort stattfinden.

Ich gehe davon aus, dass die Studierenden sich das auch wünschen. Studentengruppen sind natürlich nicht einheitlich. Aber ich denke schon, dass es eine Mehrheit gibt, die auch gerade die asynchrone Kommunikation als Zugewinn empfunden hat und sich wünschen wird, weiter digital arbeiten zu können.

360°: Im Rahmen Ihrer Projektarbeit erstellen Sie das Raumprogramm einer Berufsschule in Wien. Wie hat sich diese durch die Corona-Pandemie verändert?

Yulia Kartysh: Wir arbeiten seit fast 20 Jahren daran, die Raumnutzung zu optimieren und zu intensivieren. Das ist insbesondere bei Bildungsbauten ein Thema. Hier werden Infrastruktur, Räume, aber auch Geräte und Lager von unterschiedlichen Gruppen nacheinander oder zeitgleich genutzt. In dieses Projekt wurden wir integriert, weil in Wien acht Berufsschulen zusammengelegt werden und Synergien erzeugt werden sollen, um die Raumnutzung effizienter zu organisieren.

Wir haben dafür gesorgt, dass Lernen, Raum und Organisation nicht getrennt, sondern grundsätzlich zusammen betrachtet und optimiert werden.

Zuerst haben wir untersucht, wie das Lernen zukünftig organisieren werden soll und wie viele Unterrichtseinheiten und Lernformen gebraucht werden. Dann haben wir für unterschiedliche Formen des Flächenmanagements Raumprogramme getestet. Das Lernen wurde sowohl quantitativ als auch qualitativ zunächst konstant gehalten; nur Raum und Organisation wurden verändert, um zu sehen, welche Formen des Facility-Managements die Lehrerinnen und Lehrer effizient unterstützen.

360 Magazin Bildung während und nach der Corona-Pandemie
16-28 Personen ohne Einhaltung der Abstandsregeln.
Planung: Yulia Kartysh
360 Magazin Bildung während und nach der Corona-Pandemie
16 Personen mit Einhaltung der Abstandsregeln.
Planung: Yulia Kartysh

Dann kam die Krise. Plötzlich gab es zusätzliche Anforderungen an die Nutzung des Raums, wie die Abstandsregeln von mindestens einem Meter, die alle einzuhalten haben. Das hat natürlich Auswirkungen auf das Raumprogramm.

Generell liegt die Klassengröße bei 12 bis 24 Schülern. Wenn wir versuchen, sie konstant zu halten, benötigen wir etwa ein Drittel mehr an Raum sowie andere Möbel.

Insbesondere bei Gruppenarbeit an großen Tischen ist es schwierig, diese Regeln durchzusetzen, ohne auf Plexiglasscheiben, sogenannten Spuckschutz, zurückzugreifen.
Im deutschsprachigen Raum ist momentan zumindest ein solcher Spuckschutz sehr ungewöhnlich. Insofern würden wir nach heutigem Stand empfehlen, Stühle mit kleinen Einzeltischen als Möblierung für die Unterrichtsräume im Berufsschulzentrum vorzusehen. Die Regeln lassen sich dann wesentlich leichter durchsetzen, weil die Tische entweder keinen allzu nahen Abstand zulassen oder auf bestimmte Art und Weise angeordnet sind. Ein zusätzlicher Vorteil besteht darin, dass sie auch nach Ende der Pandemie, wenn die Einhaltung von Abstandsregeln nicht mehr nötig ist, noch effizient genutzt werden können.

Die Berufsschulen in Wien setzen auf „Active Learning“. Dafür eignen sich Stühle mit Schreibplatte und kleine Tischen besonders gut.

360 Magazin Bildung während und nach der Corona-Pandemie
16-21 Personen ohne Einhaltung der Abstandsregeln.
Planung: Yulia Kartysh
360 Magazin Bildung während und nach der Corona-Pandemie
16 Personen mit Einhaltung der Abstandsregeln.
Planung: Yulia Kartysh


360°: Können Sie uns etwas genauer schildern, wie die Optimierung von Bildungsraum durch gemeinsame Nutzung von verschiedenen Schulen funktioniert?

Y.K.: Wir haben Simulationen entwickelt, mit denen sich die dynamische Nutzung von Räumen abbilden lässt. Wir arbeiten mit Videos, in denen sich Nutzer(innen) bewegen und nicht mehr mit statischen Plänen. So können wir ein Jahr Schulraumnutzung auf Basis bestimmter Parameter, die wir aus dem aktuellen Schulbetrieb haben, simulieren. Die zeitgleiche oder mehrfach nacheinander erfolgende Raumnutzung wird im Computer abgebildet und kann so optimiert werden. Wir untersuchen, wie viele Unterrichtsräume benötigt werden, wenn jede dieser acht Schulen, die hier zusammengeführt werden sollen, zulässt, dass ihre eigenen Räume von anderen Schulen genutzt werden.

Wir haben auch untersucht, was es bringt, allgemeine Unterrichtsräume auf digitalen Unterricht grundsätzlich vorzubereiten, d.h. mit EDV auszustatten. Die Lehrer haben sich gewünscht, dass sie innerhalb der Unterrichtseinheit zwischen digitalen und nicht digitalen Lerninhalten wechseln können. Das bedeutet die Unterrichtsräume in der zentralen Berufsschule werden alle mit EDV ausgestattet. Im selben Raum werden unterschiedliche Lernaktivitäten ermöglicht und so wird der Raum wesentlich intensiver genutzt.

Der Wechsel der Aktivitäten ist nicht mehr mit einem Wechsel der Räume verbunden.

Präsentationen, Gruppenarbeit und Einzelarbeit werden zukünftig in einem Raum stattfinden. Das macht den einzelnen Raum etwas teurer, spart aber etwa ein Drittel Räume ein, wodurch sich mehr Investitionen in EDV-Ausstattung und Möbel innerhalb kürzester Zeit wieder ausgleichen.

360°: Wie wird sich die Coronakrise generell auf Bildung und Bildungsräume auswirken?

Y.K.: Die Krise hat einen enormen Schub ausgelöst, was die Modernisierung der Lernformen anbelangt. Vor der Corona-Pandemie wurde uns bei den acht Berufsschulen in Wien gesagt, sie würden gerne mehr selbstbestimmtes Lernen einführen, aber das geht nicht, da viele Schüler nicht selbstbestimmt lernen können.

Während der Krise haben Lehrerinnen und Lehrer gemerkt, dass bei etwa 90 Prozent aller Lehrlinge selbstbestimmtes Lernen wunderbar funktioniert.

Bei ein paar SchülerInnen gab es Probleme, weil kein Laptop vorhanden war oder sie keinen Internetzugang hatten. Aber es wurde festgestellt, dass moderne Lernformen auch im Bereich der Berufsbildung denkbar sind.

Es wird aktuell darüber nachgedacht, ob die Schule ein Ort für selbstständiges Lernen ist oder ob die Schüler zu Hause selbstständig lernen sollen. Auch hier werden viele Folgen der Corona-Pandemie beibehalten werden und die Organisation des Lernens und der Räume nachhaltig verändern. Das ist heute schon absehbar.

Die Berufsschulen werden Betrieben immer ähnlicher, da dort betriebliche Arbeitsprozesse geschult werden. Insofern ist die Besonderheit an Berufsschulen, dass sie sich an die Unternehmensarchitektur angleichen.

Universitäten werden sich durch die Krise stark verändern. Wir werden insgesamt weniger Raum brauchen.

Universitäten werden in Zukunft wesentlich stärker als Workshop-Plattform zum gemeinsamen Üben und Innovativsein genutzt werden.

Ich gehe davon aus, dass Vorlesungen im Hörsaal bald der Vergangenheit angehören.

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