Interview mit Peter Spiegel

„Ich würde jedem empfehlen, sich mit Biografien zu beschäftigen, die über Scheitern, Umwegen und Brüchen zu besonderen Erfolgen gekommen sind."

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Steelcase Education: In Ihrem Buch „WeQ – More than IQ“ beschreiben Sie, dass „Wir-Qualitäten“ zu überzeugenderen Ergebnissen und ultimativ zu einem universellen Kulturwandel führen. Sind Sie der Meinung, dass Universitäten diese Qualitäten vermitteln und Studierende auf diese neue Realität ausreichend vorbereiten?

Peter Spiegel: Da stehen wir erst am Anfang. Teamkompetenz, kollaborative Kompetenz, Vernetzungskompetenz, soziale Kompetenz, Empathiekompetenz, Anwendungskompetenz und viele weitere Wir-Kompetenzen tauchen zwar vermehrt in den Zielbeschreibungen von Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen auf, aber noch wenig in der gelebten Bildungspraxis. Obwohl längst bekannt ist, dass das wahre Erfolgsgeheimnis des Silicon Valley nicht die digitale Orientierung ist – die gibt es an vielen anderen Orten längst auch – sondern die Arbeit und Innovationsentwicklung im WeQ-Modus wie beispielsweise dem Design Thinking. Design Thinking spielt an unseren Hochschulen noch immer nur eine Randrolle, wenn überhaupt.

An der Design Thinking School an der Uni Potsdam arbeiten heterogene Teams an konkreten unternehmerischen, sozialen, politischen oder sonstigen Herausforderungen. Individualbewertungen machen in diesem Modus keinen Sinn, weil echte Teamarbeit kann man nicht in Einzelbewertungen zerlegen. Doch genau deshalb tun sich deutsche Universitäten mit solchen praxisorientierten Teammodi schwer. Der international bekannteste Bildungsforscher, OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher, sagt nicht nur mit Blick auf Schulen, sondern ebenso auf Hochschulen, dass dort Wissen gelehrt wird, von dem wir nicht wissen, was davon nach Studienende noch Bestand haben wird, für Berufe, die vielleicht in zehn Jahren gar nicht mehr existieren oder völlig verändert sein werden.

SE: Sie nennen sich in einem Portrait auf Ihrer Homepage selbst einen „Possibilisten“ – haben Sie Tipps, wie Studierende dieses Mindset erlernen können?

PS: Mit dem Begriff des Possibilisten meine ich die Haltung, aus Chancen und guten Gelegenheiten wie auch aus Scheitern und großen Herausforderungen herausragendes zu machen. Ich würde jedem empfehlen, sich mit Biografien zu beschäftigen, die über Scheitern, Umwegen und Brüchen zu besonderen Erfolgen gekommen sind. Oder mit der Theorie der Überkompensation bei Alfred Adler. Er beobachtete bei einer Minderheit seiner Klienten, dass diese auf körperliche, intellektuelle, mentale oder soziale Minderwertigkeiten oder Minderwertigkeitsgefühle, wie er das nannte, mit einem „jetzt erst recht“ reagieren und die Schwächen kompensierten, ja überkompensierten zu regelrechten Stärken. Als 17-jähriger lernte ich diese These kennen und entschied mich zum bewussten possibilistischen Umdrehen von Schwächen in Stärken. Ein Beispiel: Aus dem Dauerabo auf einer vier im Deutschen bis zur 11. Klasse wurden bisher 30 Bücher. Diese Kompensationskompetenz kann jeder lernen, wenn er sein Mindeset daraufhin ändert.

SE: Sie selbst sind Vater und Großvater – wenn Sie Ihren Enkeln einen Campus der Zukunft gestalten könnten, welche drei Dinge dürfen nicht fehlen und warum? 

PS: Erstens Einstieg ins Studium mit einer Intensivphase der Arbeit an der eigenen Visionskompetenz, gerne auch mit MOOCs von Leuten wie Frederick Pferdt, dem Chief Innovation Evangelist von Google, nach dem Motto „Alles Mögliche war einmal unmöglich“ und einer weiteren Intensivphase mit Design Thinking, zweitens überall kollaborative Räume im Design-Thinking-Modus, drittens mindestens die Hälfte der Zeit konkretes anwendungsbezogenes „Learning by Doing“ an echten Herausforderungen „Out of the Campus“, also in Start-ups, Creativ Centers, klassischen Unternehmen oder sonst wo im „echten Leben“ – so wie es die SRH Hochschule in Heidelberg bereits heute vorbildlich tut.

SE: Offener und kreativer Austausch sind Erfolgsfaktoren erfolgreicher Bildung – wie können speziell Lernräume diesen unterstützen?

PS: Jede Bildungseinrichtung sollte einen Beauftragten haben, der nichts Anderes tut als sich in der Welt nach kreativen Lernorten umsieht und möglichst viel davon fortlaufend in der eigenen Hochschule umsetzt. Und er sollte als Teil seines Jobs auch die Studierenden dazu motivieren, sich ebenfalls im selben Sinne einzubringen.

SE: Wären Sie Teilnehmer des Ideenwettbewerbes, wo würden Sie sich Inspiration suchen?

PS: Am Hasso Plattner Institut School of Design Thinking in Potsdam, an der SRH Hochschule in Heidelberg, an der Uni Lüneburg, in den Hubs und Labs im Lande – kurz, überall, wo Neues und Anderes versucht wird als in klassischen „Lehranstalten“.