Das Klassenzimmer umkrempeln
„Die Situation sieht für ihre Schüler ziemlich hoffnungslos aus, sie haben keine Perspektiven.“
Die Rektoren von High Schools sind Kritik gewöhnt, aber Greg Green, Rektor der Clintondale High School in einem Vorort von Detroit, traf diese Einschätzung eines bildungswissenschaftlichen Beraters hart.
Die Probleme der Schule waren offensichtlich: fünf Millionen Dollar Schulden und die Mehrheit der 525 Schüler gefährdet, das Klassenziel nicht zu erreichen. Eine externe Evaluation bewertete die technologische Einrichtung der Clintendale High School auf Platz 542 von insgesamt 560 Schulen. Das Leistungsniveau der Schüler war extrem niedrig. Die Durchfallquoten „schossen ins Unermessliche“, wie Green es ausdrückt.
Die Berater hatten keine klare Lösung für die Probleme und die Clintindale High School hätte mit wenig Geldern und einer Herabsetzung der Schülerzahlen die Probleme lediglich mildern können. Doch die Kritik der Berater war alarmierend für Green und seine Schule. „Als diese Fakten über unsere Schule auf dem Tisch lagen, war klar, dass wir eine neue Richtung einschlagen mussten,“ berichtet Green.
Weniger als drei Jahre später konnten mit geringem Kostenaufwand und kreativen Herangehensweisen in Hinblick auf Lernmethoden und Lernumgebungen erstaunliche Ergebnisse erzielt werden. Die Durchfallquoten an der Clintondale High School sind rapide gesunken. Notenspiegel Testergebnisse der Schüler werden zunehmend besser.
Die Schule auf den Kopf stellen
Die große Kehrtwende begann damit, Lehr- und Lernprozesse zu überdenken und neu zu organisieren – eben damit, die Schule „umzukrempeln“. Lehrer fingen damit an, Laptops zu nutzen, um Vorlesungen auf Video aufzunehmen und dann auf der Website der Schule, auf YouTube und anderen Seiten zu veröffentlichen. Schüler können so die Videos nach dem Unterricht zu Hause, im PC Pool der Schule oder über ihr Smartphone anschauen, so oft, wo und wann sie wollen. Am nächsten Tag wird innerhalb der Klasse auf dem Gelernten aufgebaut, Schüler arbeiten an Problemen in Mathematik, schreiben Essays, erarbeiten wissenschaftliche Projekte usw. und Lehrer betreuen die Schüler hierbei und beantworten ihre Fragen.
Green ist überzeugt davon, dass es an der Zeit ist, einen neuen Ansatz zu verfolgen, der dem entgegen steht, was Schüler seit Jahrzehnten praktizieren. „Rufen Sie sich einen gewöhnlichen Schultag vor Augen. Kinder verfolgen den Frontalunterricht des Lehrers, dann gehen sie nach Hause. Wie werden sie dort unterstützt? Wer hilft den Kindern, wenn sie am Küchentisch sitzen und fortgeschrittene Algebra, Physik oder Chemie lernen? Die Eltern haben seit 30 Jahren keinen Unterricht mehr besucht. Selbst wenn sie Physiker sind, wissen sie nicht, was Lehrer heute von den Schülern erwarten, welches Wissen vorausgesetzt wird.“
Die neuen Lehrmethoden ermöglichen es jedem einzelnen Schüler, gezielt Hilfe von einem Lehrer zu bekommen, wenn konkrete Fragen aufkommen und in einer Umgebung zu lernen, die Lernprozesse unterstützt. „Wir haben Fachpersonal in den Klassenzimmern, Sozialpädagogen, wissenschaftliche Hilfsarbeiter, technologische Einrichtungen – kurz: zahlreiche Möglichkeiten und Hilfsmittel. Warum sollten Hausaufgaben also zu Hause erledigt werden, wo diese Ressourcen nicht vorhanden sind? Warum überdenkt man gewöhnliche schulische Abläufe nicht einfach und gestaltet sie neu?“
Ich glaube, man kann besser lernen in einer dafür geeigneten Umgebung. Ich bin definitiv aufmerksamer in diesem Klassenzimmer.
Isaiah
Klassenräume neu denken
Eine Schule völlig umzukrempeln, kann nur dann gelingen, wenn Lehrer mithelfen und schulische Abläufe und pädagogische Maßnahmen überdenken. Dadurch, dass ganze Lektionen per Video angeschaut und nachbereitet werden können, kann mehr Unterrichtszeit für Gruppenarbeiten und den Austausch zwischen Lehrern und Schülern genutzt werden. Die Clintondale High School arbeitet mit Steelcase Bildungsexperten zusammen, um zu untersuchen, wie Räume aktivere Lehr- und Lernmethoden unterstützen können.
„Aktives Lernen bedeutet, dass Schüler Bedeutung selbst konstituieren, indem sie eigene Erfahrungen und Feststellungen machen. Sie lehnen sich nicht nur zurück und folgen einem Frontalunterricht,“ erklärt Steelcase Designforscherin Aileen Strickland. „Sie sind mehr in den Lernprozess involviert, arbeiten in Gruppen und interagieren mit Mitschülern. Wenn Schüler die Möglichkeit haben, sich innerhalb des Klassenraums zu bewegen, kann ein dynamischer Unterricht sattfinden. Räume und Einrichtungen, die diese aktiveren Herangehensweisen unterstützen, helfen Lehrern und Schülern dabei, neue Methoden zu übernehmen und anzuwenden.“
Durch die Zusammenarbeit mit Steelcase konnten in der Clintondale High School Klassenräume für aktives Lernen entstehen. Entsorgt wurden alte, schwere und unflexible Schreibpulte, neu angeschafft wurden leichte Verb Tische mit feststellbaren Rollfüßen sowie mobile Node Stühle mit flexiblen und drehbaren Sitzflächen. So können die Schüler problemlos zwischen Diskussionsrunden, Gruppenarbeiten, Zusammenarbeit im Zweierteam oder mit dem Lehrer, Prüfungssituationen und sämtlichen anderen Anordnungen wechseln. Das Zimmer ver fügt außerdem über eine drei-Personen- Lounge, Polsterhocker sowie Einzel- und Kleingruppentische zum Brainstormen und Informationsaustausch. Außerdem befindet sich ein niedriger Tisch und kleine Hocker für Teamoder Einzelarbeit im Zimmer.
In kürzester Zeit kann die Einrichtung des Klassenraums so angeordnet werden, dass Schüler und Lehrer in verschiedenen Situationen bestmöglich unterstützt werden. „Wir haben unterschiedliche Wege gefunden, die Möbel im Klassenzimmer umzustellen. Schüler schieben Tische oder Stühle einfach weg, ordnen sie neu an und innerhalb von zwei bis drei Minuten können sie sich neuen Aufgaben widmen,“ erklärt Sozialkundelehrer Michael Ward.
Er glaubt, dass das neue Lehrmodell – der für aktives Lernen ausgerichtete Klassenraum und resultierende Flexibilität hinsichtlich bildungswissenschaftlicher Maßnahmen und Methoden – zahlreiche Vorteile bietet. „Man kann bis zu 185 Lektionen in Form von Videos zugleich ins Netz stellen, genug für ein ganzes Jahr, aber das ersetzt natürlich keinen Lehrer. Der große Vorteile ist aber, dass Schüler die Videos ansehen können, wann immer sie wollen und so oft wie nötig und dass sie einzelne Passagen im eigenen Tempo wiederholen können. Wenn die Schüler die Inhalte dann verinnerlicht haben, kommen sie hierher und wir können Unterricht auf hohem Niveau abhalten.“
„Wir vermitteln den Schülern neue Fähigkeiten, indem wir ihnen beibringen, Probleme zu lösen, kreativ zu sein und mit anderen zusammen zu arbeiten. Dieser Raum gibt uns die Chance, den bestmöglichen Unterricht abzuhalten und ganz neue Lehr- und Lernerfahrungen zu machen.“
Es braucht Zeit bis eine Schule tatsächlich zu aktiven Lernmethoden übergehen kann. „Es ist ein kleinschrittiger Prozess, welcher Übung seitens der Lehrer und der Schüler erfordert,“ erklärt Strickland. „Dieser Prozess umfasst nicht nur neue pädagogische Maßnahmen zu erlernen und anzuwenden, sondern auch zu verstehen, wie Raum Lernen beeinflusst und welche Methoden von welchen Räumen und Konfigurationen am besten unterstützt werden.“
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Kleingruppen |
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Personalisiertes Lernen |
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Frontalunterricht |
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Diskussion und Präsentation |
Kleine Investitionen, große Erfolge
Auch Lehrer, die nicht in solch flexiblen Räumen unterrichten, nutzen ihre Räumlichkeiten an der Clintandale High School inzwischen anders. Ein Dozent hat seinen Lehrerpult aus dem Klassenzimmer entfernt, weil er der Ansicht ist, diesen nicht zu brauchen, wenn er seinen Schülern in Einzelgesprächen hilft oder kleine Gruppen betreut. Ein anderer Lehrer nutzt einen halbrunden Tisch anstatt eines herkömmlichen klotzigen Lehrerpults. Er bevorzugt diesen Tisch, weil Inhalte so besser mit anderen geteilt werden können und er näher mit seinen Schülern zusammenarbeiten kann als von einem herkömmlichen, veralteten Pult aus.
Außerdem wurde die 1950 erbaute Bibliothek der Clintondale High School umgestaltet und mit kleinen Tischen, leicht verrückbaren Stühlen und Lounge- Möbeln ausgestattet. Nun ist sie zum idealen Ort für Einheiten außerhalb des Klassenzimmers und für Projektarbeiten in Kleingruppen geworden. Schüler nutzen die Bibliothek außerdem für konzentrierte Einzelarbeit und um das Kursmaterial mittels der Videos nachzubereiten.
„Allein schon die neuen Möbel machen einen großen Unterschied,“ erzählt ein Schüler. „Wir hatten nie zuvor irgendetwas neues bekommen.“ Bei den Schülern kam die Botschaft an, dass die Schule für sie investiert, also tragen sie ihren Teil zu optimalen Lernerfolgen bei. „Es ist eine Art beidseitiges Einvernehmen,“ erklärt Ward.
Drei Jahre nach dem verheerenden Urteil der bildungswissenschaftlichen Berater, hat die Clintondale High School bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen. In der neunten Jahrgangsstufe, welche bei der Umgestaltung zuerst in Angriff genommen wurde, sank die Durchfallquote in einem Jahr um 33 Prozent. Seit 2011, als die gesamte Schule damit begann, die neuen Methoden anzuwenden, kann eine verringerte Durchfallquote auf die gesamte Schülerzahl bezogen von zehn Prozent verzeichnet werden. Die Noten der Schüler werden zunehmend besser, wie ein landesweiter Vergleich von Testergebnissen zeigt.
Andere Schulen haben davon bereits Notiz genommen. Bildungswissenschaftler aus der ganzen Welt – inzwischen über 300 – haben die Clintondale High School besucht, um selbst zu sehen, was sich dort verändert hat. Nationale und internationale Medien berichten immer wieder darüber.
Am zufriedenstellendsten für Direktor Green ist, dass seine Schüler nun wieder Perspektiven für die Zukunft haben. „Eine nationale Umfrage unter fast 500.000 Schülern hat ergeben, dass nur einer von zwei Schülern Perspektiven für sich sieht. Das ist alarmierend!“
„Aber Pädagogen können dies ändern. Wir brauchen Frontalunterricht nicht komplett aus dem Lehrplan zu streichen. Wir müssen den Schülern lediglich die Möglichkeit zur Nachbereitung des Stoffs im individuellen Tempo anbieten. Klassenzimmer können aktives Lernen unterstützen zusammen mit Fachleuten, entsprechenden Einrichtungen und Tools.“
„Schauen Sie sich die Erfolge unserer Schüler an, die aus schwierigen Verhältnissen kommen. Wir schaffen Perspektiven für diese Kinder. 90 Prozent von ihnen machen ihren Abschluss. 80 Prozent davon gehen aufs College. Die meisten dieser Kinder sind die ersten aus ihrer Familie, die einen High School Abschluss machen. So schaffen wir Perspektiven für die Zukunft, hier in unseren Schulen.“
Ich konnte meine Leistungen enorm verbessern. Ich kann besser arbeiten in diesem Klassenzimmer.
Brianna
Eine perfekte Einheit: Technologie, Raum und Lernen
Das Beispiel der Clintondale High School zeigt, wie gemischte Lernmethoden – teils online, teils im Unterricht – Lernprozesse verändern und positiv beeinflussen können. Von Online-Kursen zu Videokonferenzen und interaktiven Whiteboards im Klassenzimmer – die zahlreichen Möglichkeiten verändern das Unterrichtsniveau maßgeblich. Steelcase Learning Forscher führten vor kurzem eine detaillierte Studie in Designforschung durch, um diesen Trend besser verstehen zu können und um zu zeigen, wie Lehrende Raum und Technologie so einsetzen können, dass Lernprozesse deutlich verbessert werden. Ihre sechs entscheidenden Forschungsergebnisse sind:
- Der Austausch mit anderen ist für erfolgreiches Lernen essentiell.
- Technologien bereichern Face-to-face- Interaktionen und verbessern kognitive Leistungen.
- Technologien in Klassenzimmern zu integrieren, bedingt Flexibilität und eine auf Aktivität ausgerichtete Raumplanung.
- Räumliche Abgrenzungen lockern auf.
- Räume müssen so gestaltet sein, dass Informationen von allen erfasst werden und fließen können.
- High-tech und Low-tech-Ausstattungen können sich gegenseitig ergänzen.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Klassenräume und informelle Lernräume höchst flexibel gestaltet sein müssen, um ein neues Lernverhalten, das direkt aus dem Gebrauch neuer Technologien resultiert, unterstützen zu können.