Wohlbefinden

Privatsphäre – eine neue Definition

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Nach Meinung der Steelcase Forscher bringen die meisten Menschen das Thema Privatsphäre mit Störungen durch andere in Verbindung. Doch in Wirklichkeit geht es um die Kontrolle von Außenreizen.

„Als Steelcase in den frühen 1980er Jahren begann, das Thema Privatsphäre genauer unter die Lupe zu nehmen, betrachteten die Forscher zunächst die physischen Merkmale der Privatsphäre: Was hört man, was sieht man, wie wird der eigene Raum definiert und welche Informationen werden preisgegeben bzw. zurückgehalten — diese Untersuchungen ergaben ein solides Modell für akustische, visuelle, territoriale und informatorische Privatsphäre. Allerdings betraf dies damals eine „Offline-Welt“. Heute leben wir jedoch auch in einer „Online-Welt“. Neue Technologien drangen in unsere Privatsphäre ein und wir erkannten, dass wir den Bereich Privatsphäre mit anderen Augen betrachten mussten“, erklärt Melanie Redman, Mitarbeiterin der Steelcase Forschungsgruppe „WorkSpace Futures“, die 2012 bei Ihren Untersuchungen und Befragungen von Arbeitnehmern in Nordamerika, Europa und Asien neue Einblicke zum Thema Privatsphäre gewinnen konnte.

“Reize aus der Umgebung, z.B. visueller oder akustischer Art, lassen sich zwar kontrollieren, es liegt jedoch an jedem selbst, herauszufinden, wie innere Ablenkung kontrolliert werden kann. Die große Erkenntnis unserer Untersuchung war jedoch, wie unterschiedlich jeder Einzelne mit diesen Ablenkungen umgeht.”

Donna Flynn

„Als wir unsere jüngste Studie über die Privatsphäre am Arbeitsplatz begannen, wurde uns klar, dass wir zwar viel über Räume für individuelles Arbeiten, aber so gut wie nichts über das menschliche Bedürfnis nach Privatsphäre wussten. Also beschlossen wir, den Fokus darauf auszurichten: Wir fingen mit den fundamentalen Bedürfnissen der Menschen an und nicht mit dem Thema Raum.“

Auf der Basis ihrer Arbeitsergebnisse unterteilten die Steelcase Forscher den grundlegenden psychologischen Kontext zu individueller Privatsphäre in zwei Bereiche: Kontrolle der Informationen (was andere Personen über uns wissen dürfen) und Kontrolle der Außenreize (der Umgang mit Ablenkungen). Sie erkannten weltweit kohärente Muster: Heutzutage sind Arbeitnehmer ständig zwischen „sich zeigen“ und „sich verbergen“ und zwischen der Suche bzw. dem Ausblenden von Reizen hin- und hergerissen. „Das Überraschendste war für uns, wie universell das Bedürfnis nach Privatsphäre in unserer heutigen Welt ist. Wir gingen davon aus, dass in Ländern wie zum Beispiel China, mit seiner kollektivistisch ausgelegten Kultur, der Wunsch nach Privatsphäre geringer wäre als beispielsweise in den Vereinigten Staaten, in denen Individualismus ein hoher Stellenwert hat. Wir fanden jedoch heraus, dass die Menschen auf der ganzen Welt phasenweise ungestört sein möchten. Die Beweggründe können in den verschiedenen Kulturkreisen differieren und sind möglicherweise auch durch kulturelle Vorgaben beschränkt, dennoch ist das Bedürfnis nach Privatsphäre, sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Öffentlichkeit, ein ebenso elementarer Wunsch des Menschen wie das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit“, erläutert Wenli Wang, die für Steelcase die Studie über Privatsphäre in China durchführte.


Privatsphäre in physischen räumen

Der Steelcase Studie zufolge entscheiden Menschen instinktiv anhand von vier sich häufig überschneidenden Gesichtspunkten, ob ein Raum das gewünschte Maß an Privatsphäre bietet:

  • Akustische Privatsphäre: Keine Störung durch Lärm und/oder die Möglichkeit, selbst Lärm zu verursachen, ohne dabei andere zu stören
  • Visuelle Privatsphäre: Nicht von anderen gesehen werden und/oder sich von visuellen Ablenkungen freimachen
  • Territoriale Privatsphäre: Forderung nach einem eigenen kontrollierbaren Raum (olfaktorische Privatsphäre bildet eine Untergruppe)
  • Informatorische Privatsphäre: Inhalte (analog und/ oder digital) und/oder Unterhaltungen vertraulich behandeln

„Für Menschen in den Ländern der westlichen Welt dreht sich die Suche nach Privatsphäre am Arbeitsplatz zumeist darum, einen Ort für vertrauliche Gespräche zu finden. Wohingegen die Motivation in China in erster Linie darauf basiert, sowohl Informationen als auch sich selbst vor den Blicken anderer zu schützen“, erklärt Wang. „In China denken die Menschen anders über individuelle Privatsphäre als die Menschen im Westen dies tun. In der westlichen Welt geht es häufig um die Kontrolle von Außenreizen. In China ist die Frage nach Ablenkung kein sonderlich großes Thema. Hier geht es mehr um die Kontrolle von Informationen sowie darum, persönliche Infos vor anderen zu verbergen und der Beobachtung durch Dritte zu entgehen. Das ist in der Arbeitswelt eine große Herausforderung, denn die räumliche Enge am Arbeitsplatz ist relativ groß und normalerweise gibt es an Arbeitsplätzen keine Möglichkeit, einen persönlichen Telefonanruf entgegenzunehmen oder eine private Unterhaltung zu führen.“

Wie Menschen Raum als weitere kulturelle Dimension nutzen, wurde bereits in den 1960er Jahren umfassend von Edward T. Hall, einem amerikanischen Anthropologen, der sich mit der interkulturellen Kommunikation beschäftigte und den Begriff Proxemik (Raumverständnis) prägte und diesen der nonverbalen Kommunikation als Teilkategorie zuwies, untersucht. Hall beschäftigte sich mit den räumlichen Distanzzonen, die den Abstand zwischen anderen Menschen und uns selbst kennzeichnen. Dabei unterscheidet man die intime, die persönliche, die soziale und die öffentliche Distanzzone. Jede dieser Zonen ist für unterschiedliche Situationen geeignet und persönlicher Raum bedeutet, dass sich Menschen bei der Arbeit mit anderen wohlfühlen. Die Abstände der einzelnen Zonen können zwar variieren, je nach Kultur teilt sich jedoch diese räumliche Norm in vier Zonen auf. In Nordamerika, erstreckt sich die intime Distanzzone über 45 cm vom Körper weg, während die persönliche Distanzzone bei 1,2 m liegt, die soziale Distanzzone bei 3,6 m und die öffentliche Distanzzone über diesen Abstand hinausgeht.

360 Issue 68 Privacy Crisis

Der entstehende Stress in modernen Arbeitsumgebungen lässt sich zweifelsohne darauf zurückführen, dass die persönliche Distanzzone der Mitarbeiter gefährdet wird. „Viele Menschen bewegen sich in Arbeitsumgebungen, in denen ihnen Kollegen sehr nahekommen oder sogar die intime Distanzzone überschreiten“, stellt Taylor fest. Dieses Eindringen beschränkt sich häufig nicht nur auf den physischen Raum. Es passiert auch in digitaler Form, wenn Mitarbeiter an Videokonferenzen über ihre Mobilgeräte teilnehmen und andere Personen dabei nur eine Armlänge von ihnen entfernt sind. Andererseits bringt eine Videokonferenz Teammitglieder verschiedenster Standorte zusammen und sorgt für einen unbefangenen und einfacheren Informationsaustausch unter Kollegen.

“Als eine im Süden der USA aufgewachsene Person, die heute in Shanghai lebt, bin ich immer wieder fasziniert, wie unterschiedlich Menschen sein können und wie sehr sie sich doch gleichen. Bevor wir mit dieser Studie begannen, ging ich davon aus, dass die Menschen in China nicht viel Wert auf Privatsphäre legen, da ihre Kultur sehr kollektivistisch ausgelegt ist. Die Befragungen zeichneten jedoch ein ganz anderes Bild. Obwohl in China anders über das Thema Privatsphäre gedacht wird als in den USA, ist es doch ein allgemeines Bedürfnis.”

Wenli Wan

Obwohl es kulturell bedingte Unterschiede sowie akzeptable Lösungen in Bezug auf Privatsphäre gibt, zeigte die Zusammenarbeit von Steelcase mit weltweit führenden Unternehmen, dass Verhaltensregeln eines Unternehmens nationale Normen und Standards relativ schnell dominieren, erklärt Redman. Innerhalb bestimmter Kulturen ist das Bedürfnis nach Privatsphäre des Einzelnen letztendlich immer kontextabhängig, wie die Forscher betonen. Das bedeutet, dass die Suche nach Rückzugsmöglichkeiten stark von der individuellen Persönlichkeit, der aktuellen Gefühlslage und der anstehenden Aufgabe abhängig ist. „Kreative Aufgaben lassen sich aufgrund einer bestimmten Umgebungssituation an einem Tag geradezu beflügelt bewältigen, während am nächsten Tag genau diese Einflüsse sich gegenteilig und störend auswirken“, meint Redman. Des Weiteren so Wang, unterstreiche die Steelcase Studie, dass mentale und physische Privatsphäre zwar oft miteinander verbunden sind, aber deshalb nicht zwingend gleichbedeutend seien. „Die Menschen sprachen von ihrem eigenen ‚Platz‘, d.h. ihrem eigenen psychischen Freiraum, der es ihnen erlaubt, sich frei und sicher zu bewegen und zu denken, ohne danach beurteilt zu werden.“

„In dieser Hinsicht gibt es keine Patentlösung, die immer und überall passt. Privatsphäre umfasst viele verschiedene Bedürfnisse und Verhaltensweisen“

Melanie RedmanResearcher, WorkSpace Futures

Fünf Erkenntnisse über Privatsphäre

„Wenn Menschen sagen, sie bräuchten mehr Privatsphäre, so kann das viele unterschiedliche Bedeutungen haben. Als wir die Erwartungen, die Menschen an ihre Privatsphäre stellen, näher untersuchten, konnten wir fünf wichtige Erkenntnisse gewinnen“, bemerkt Redman. „Die Ergebnisse unserer Studie ließen sich zu fünf Grundsätzen über das Erleben individueller Privatsphäre zusammenfassen. Betrachtet man jeden einzelnen dieser fünf Grundsätze für sich, so bekommt man ein tieferes Verständnis für das menschliche Bedürfnis nach Privatsphäre.“

Nachdem die Ergebnisse aus akademischen Studien mit ihren eigenen primären Untersuchungsresultaten abgeglichen wurden, gelang es den Forschern von Steelcase, folgende fünf verschiedene Arten des Erlebens von Privatsphäre zu definieren:

1

Strategische Anonymität: Unerkannt bleiben / „unsichtbar“ sein

Die Möglichkeit anonym zu bleiben ist ein wichtiger Aspekt, wenn es um das Ungestörtsein geht. Damit entzieht man sich den durch normale Sozialkontrolle auftretenden Zwängen. Indem man unerkannt bleibt, vermeidet man Unterbrechungen und experimentiert mit veränderten Handlungsweisen. Das Wichtigste dabei ist jedoch die strategische Herangehensweise — jede(r) Einzelne bestimmt, wann und warum er/sie sich anonymisiert. Zum Beispiel: Wenn Mitarbeiter ein Café aufsuchen, um konzentriert an etwas zu arbeiten, so tun sie dies häufig, um den sozialen Ablenkungen am Arbeitsplatz zu entgehen. Das sanfte Gemurmel von Fremden kann in diesem Fall genau der richtige Stimulus sein, der das Denken anregt, ohne die Aufmerksamkeit abzulenken.

Beispiele

  • Das Erledigen von Arbeiten in einem Café oder an einem Platz, an dem man unerkannt bleibt
  • Teilnahme an Online-Diskussionen unter einem Pseudonym

 

2

Selektive Exposition: Bestimmen, was andere sehen

Unsere innersten Gedanken und Gefühle sowie alle persönlichen Informationen und unsere Eigenarten werden nur dann preisgegeben, wenn wir dies zulassen. Oft werden nur bestimmte Informationen an ausgewählte Menschen oder Institutionen weitergegeben, während andere Informationen nicht für diesen Kreis bestimmt sind. Die Identitätskonstruktion ist ein bekannter sozialwissenschaftlicher Begriff und beschreibt die Tatsache, dass Menschen sich je nach ihrem Gegenüber unterschiedlich präsentieren. Heutzutage werden persönliche Informationen über neue Kanäle weitergegeben und es stellt sich dabei die Frage, wie „sicher“ diese Preisgabe ist. Die Entscheidung darüber, welche Informationen mitgeteilt werden, beinhaltet das Abwägen von Vorteilen und Risiken. Diese Entscheidung gestaltet sich für jeden Einzelnen unterschiedlich. Die Entscheidung wird durch den kulturellen Hintergrund, das Geschlecht sowie die eigene Persönlichkeit mittels implizierter Ge- und Verbote beeinflusst. Bestimmte Verhaltensweisen mögen in bestimmten Kulturkreisen durchaus üblich sein, wie zum Beispiel in China ein Nickerchen am Arbeitsplatz oder in Frankreich ein entspanntes Glas Wein während der Mittagspause, in anderen Teilen der Welt sind diese jedoch völlig verpönt.

Beispiele

  • Entscheidung für einen Telefonanruf anstelle der Teilnahme an einer Videokonferenz
  • Wahl der persönlichen Gegenstände, die am Arbeitsplatz gezeigt werden

 

3

Umgang mit Vertraulichkeit: Vertrauliche Mitteilungen

Bei Privatsphäre geht es nicht nur um das Alleinsein. Wir suchen auch nach ungestörten Momenten mit anderen. Zum Beispiel, wenn wir persönliche Informationen oder Gefühle mit einer anderen Person teilen möchten. Dabei spielt das Maß an Vertrauen eine große Rolle. Man setzt voraus, dass dem Gegenüber bewusst ist, dass die mitgeteilte Information nicht für die Allgemeinheit bestimmt ist. Es gibt viele Beispiele im täglichen Berufsleben, bei denen sich kleine Gruppen, von zwei oder drei Leuten, beraten möchten. Allerdings ist es in den modernen, zumeist offen gestalteten Büroumgebungen oft recht schwierig, einen geeigneten Platz dafür zu finden, ohne im Vorfeld einen Raum gebucht zu haben. Entgangene Chancen sind leider nur zu häufig die Folge.

Beispiele

  • Ein Gespräch unter Kollegen über eine persönliche Situation
  • Ein Leistungsbeurteilungsgespräch mit Ihrem Vorgesetzten

 

4

Bewusstes Abschirmen: Selbstschutz

Bei persönlicher Sicherheit geht es nicht nur um den Schutz vor körperlichen Schäden. Es gibt auch eine starke psychologische Komponente. Das Gefühl von einem Eingriff in die Privatsphäre, von dem Menschen häufig nach einem Einbruch berichten, weist auf einen engen Zusammenhang zwischen persönlichem Territorium und Selbstempfinden hin. Wir ergreifen aktive Maßnahmen, um uns vor derartigen Übergriffen zu schützen. Wenn auch weniger traumatisch als beim Diebstahl des persönlichen Hab und Guts erleben Menschen ähnliche Gefühlen, wenn es um das Eindringen in den persönlichen Bereich am Arbeitsplatz geht und sie versuchen, sich auch dort vor Außenreizen und neugierigen Blicken anderer zu schützen. Selbstschutz beinhaltet in diesem Zusammenhang auch, sich einen Standpunkt zu erarbeiten, der sich dem Einfluss von Gruppendenken entzieht. Beispielsweise, wenn eine Gruppe sich zur gemeinsamen Erarbeitung von Ergebnissen trifft und der Einzelne starke überzeugende Argumente zum aktuellen Thema einbringen kann.

Beispiele

  • Das Tragen von Kopfhörern, um Ablenkungen auditiver Art auszuschließen
  • Mit dem Rücken zur Wand sitzen
  • Den PC-Bildschirm abschalten oder zur Seite drehen

 

5

Gezieltes Alleinsein: Sich bewusst von anderen absondern

Isolation ist eine subjektive Gemütsverfassung. Man kann sich innerhalb einer Gruppe alleine fühlen, obwohl man von anderen Personen umgeben ist. Bewusstes Alleinsein ist dagegen physischer Natur: Man kann sich vorsätzlich von einer Gruppe absondern, um konzentriert zu arbeiten, sich eine kurze Ruhepause zu gönnen, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen oder persönlichen Dingen nachzugehen. Für Menschen aus individualistischen Kulturkreisen, wie zum Beispiel den USA, ist solch ein Alleinsein nahezu etwas Selbstverständliches. Doch selbst in kollektivistischen Kulturen, wie etwa China, ist das Alleinsein manchmal ein elementares Bedürfnis.

Beispiele

  • Eine Enklave für sich finden
  • Nach draußen gehen
  • In der hintersten Ecke eines großen Raumes sitzen

The Privacy Paradigm

Den Forschern wurde bei der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse klar, dass es unterschiedlichster Räume innerhalb des Unternehmens bedarf, wenn man dem Bedürfnis der Mitarbeiter nach Privatsphäre gerecht werden will.

Work Café

„Wenn man an Privatsphäre denkt, so fallen einem unweigerlich Einzelbüros ein. Dieses Paradigma hat sich in dem allgemeinen Arbeitsplatzdesign verankert“, erklärt Flynn. „Unsere Untersuchungen bestätigten, dass Menschen aus den verschiedensten Gründen und zu unterschiedlichsten Zeiten nach Privatheit suchen. Manchmal bedeutet das, sich einen Platz zu suchen, um sich in Ruhe eine Stunde lang zu konzentrieren, es kann aber auch nur eine Verschnaufpause von 20 Minuten sein, um zwischen zwei nervenaufreibenden Besprechungen wieder einen klaren Kopf zu bekommen und sich zu sortieren. Wir haben die Chance, private Räume innerhalb des gesamten Arbeitsumfeldes neu zu gestalten, um persönliche und individuelle Räume zu schaffen, die bei Bedarf von allen genutzt werden können. Für das persönliche Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter ist es enorm wichtig, dass Beschäftigte eine Wahl und einen gewissen Grad an Kontrolle hinsichtlich der Privatsphäre am Arbeitsplatz haben.“

„Privatsphäre beudetet nicht immer nur vier Wände und eine Tür. Man kann auch mit zwei Wänden oder sogar völlig offenen Räumen für Privatsphäre sorgen. Das hängt einfach davon ab, welche Form der Privatsphäre gerade nötig ist.“

Melanie Redman
360 Magazine
Melanie Redman
Als führende Forschungskraft bei Steelcase kann Melanie Erfahrungen zu internationalen Kulturen aufweisen, die unter anderem auf Forschungen in China und Nordamerika zurückgehen. In verschiedenen Forschungsprojekten, unter anderem zur chinesischen Post-1980er Generation, zum Einfluss von Kultur auf Arbeit in elf Ländern und zur Zusammenarbeit räumlich getrennter Teams, war sie als Hauptforscherin tätig.

Häufig fühlt man sich sogar in nicht geschlossenen und informellen Umgebungen, die eindeutig den menschlichen Bedürfnissen gerecht werden, geschützter als in unpersönlichen oder rein zweckmäßigen Räumen. Einfache Möbelstücke, wie zum Beispiel Sitzgruppen mit tiefem Lounge- Charakter, vermitteln den Menschen das Gefühl, sich in einem nahezu privaten Kokon zu befinden.

Für die meisten Angestellten zieht sich der Bedarf nach Privatsphäre in einer Wellenlinie durch den Arbeitstag. Die zu erledigenden Aufgaben variieren zwischen intensiver Zusammenarbeit mit anderen, einfachen, aber individuellen Arbeiten, wie z.B. das Beantworten und Schreiben von E-Mails oder Aufgaben, die hochkonzentriert erledigt werden müssen, wie das Analysieren von Daten oder das Ausarbeiten neuer Ideen und Konzepte. Mihály Csíkszentmihályi, eine bekannte Koryphäe in Psychologenkreisen, ist der Meinung, dass Menschen bei komplexen Herausforderungen in eine Art Tätigkeitsrausch geraten, um einen Bewusstseinszustand zu erreichen, den Csíkszentmihályi als „Flow“ bezeichnet. Natürlich kann Privatsphäre allein keinen Flow-Effekt garantieren, aber der Mangel an Privatsphäre kann den Eintritt dieses Effekts verhindern.

So sehr Menschen nach persönlichen Einzelerfolgen streben, so sehr sehnen sie sich auch nach Zusammenarbeit und Gemeinschaft. Ständig alleine zu arbeiten, hat genauso viele negative Auswirkungen auf das Leistungsvermögen wie eine permanente Teamarbeit und führt überdies zu ähnlichen gesundheitlichen Risiken wie das Rauchen, erläutert David Rock.

„Soziale Interaktion ist eine großartige Sache für unser Gehirn …“, erklärt er. „Unser Gehirn schätzt die Interaktion mit anderen Menschen und es ist ein wichtiger Teil, um uns am Leben zu halten.

Steelcase Global Headquarters

Weil unsere Gehirne zutiefst sozial veranlagt sind, können wir gar nicht anders als aufzusehen, wenn jemand an unserem Tisch vorbeigeht“, fügt er hinzu. „Es ist einfach eine reflexartige Reaktion. Und es spielt dabei keine Rolle, ob jemand an Ihrem Tisch vorbeigeht oder Ihnen eine E-Mail sendet, diese Ablenkungen sind zu stark, als dass Sie sie ignorieren könnten. Deshalb müssen wir Zeit und Raum schaffen, um solche Dinge auszuschalten und in Ruhe nachdenken zu können … Wenn wir über reine Zusammenarbeit sprechen, so gehen wir eigentlich davon aus, dass Kollegen zusammenkommen und gemeinsam sichtbare Ergebnisse erarbeiten, aber sich auch jederzeit zurückziehen können, um in Ruhe für sich zu arbeiten und sich anschließend erneut zusammensetzen. Das bedeutet, es geht um die Möglichkeit, nachzudenken, sich zu besprechen, nachzudenken und nochmals die Ergebnisse gemeinsam zu erörtern.“

Das menschliche Bedürfnis nach Privatsphäre und Gemeinsamkeit entspricht dem chinesischen Yin und Yang-Prinzip, im Wesentlichen unterschiedlich und dennoch sich komplementär ergänzend, was bedeutet, dass es den optimalen Arbeitsplatz nicht gibt.

„Was bisher bei der Forcierung von Zusammenarbeit übersehen wurde, ist der Stellenwert persönlicher Zeitgestaltung als Beitrag zur Zusammenarbeit“, erklärt Flynn. „Der Nutzen gemeinschaftlicher Arbeit verschwindet deshalb nicht einfach. Unsere Untersuchungen ergaben, dass bei der Lösung von Problemen das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Meinungen zu qualitativ hochwertigeren Problemlösungen führt. Dennoch sollte uns bewusst sein, dass das Zusammenarbeiten über 8 bis 10 Stunden pro Tag zu Burnout- Symptomen führt. Um Mitarbeiter entsprechend zu unterstützen, muss es eine Möglichkeit geben, zwischen individueller Zeit und gemeinsamer Zeit zu wechseln, d.h. es muss ein Rhythmus geschaffen werden, der es erlaubt, gemeinsam über Projekte nachzudenken und Ideen zu entwickeln, der es aber auch ermöglicht, sich zurückzuziehen und diese Ideen in Ruhe zu durchdenken. Dies ist ein äußerst wichtiger, elementarer menschlicher Rhythmus.“

„Wir müssen eine Balance zwischen diesen beiden Polen herstellen“, führt sie weiter aus. „Die Zukunft liegt wirklich in dieser Form der Ausgewogenheit, denn Menschen werden weiterhin mobil und flexibel arbeiten, sie müssen sich weiterhin mit neuen Technologien auseinandersetzen und all das sorgt für noch mehr individuelle Entscheidungen innerhalb der Arbeitsumgebung.“


Aufbau eines neuen Raumsystems

Die große Herausforderung, die sich in modernen Unternehmen stellt, ist das Verständnis für die Bedürfnisse des Einzelnen hinsichtlich seines Arbeitsplatzes. Wir sind ständig virtuell oder real mit Menschen und Informationen verbunden. Deshalb ist es wichtiger denn je, dass wir das gemeinschaftliche Arbeiten in einen breiteren Kontext stellen. Gleichzeitig erfordert diese Intensität auch mehr Raum für private Rückzugsmöglichkeiten.

Innovation Center

Der Mensch ist prinzipiell ein soziales Wesen. Wir werden nicht gerne ausgegrenzt. Sobald wir uns in einer Gruppe befinden, wird unsere Meinung durch unseren Verstand beeinflusst und wir neigen dazu, anderen eher zuzustimmen. Darin liegt die Gefahr permanenter Zusammenarbeit. Daher ist es umso wichtiger, dafür zu sorgen, dass Menschen mehr Rückzugsmöglichkeiten haben, um eigene Ideen zu entwickeln und diese in der Gruppe einzubringen.

Melanie Redman

Die richtige Balance zwischen Privatsphäre und Zusammenarbeit ist der Schlüssel, um jedem Einzelnen im Hinblick auf seine Umgebung Entscheidungs- und Einflussmöglichkeiten einzuräumen.

Durch eine monotone Arbeitsumgebung wird die richtige Balance zwischen Zusammenarbeit und Privatsphäre nicht erreicht. Wenn Mitarbeiter allerdings aus einer Reihe von Räumen wählen können, wie bei einem Raumsystem aus zusammenhängenden Zonen und Umgebungen, die ihren physischen, kognitiven und seelischen Bedürfnissen gerecht werden, können sie Inspiration und Energie aus der Zusammenarbeit mit anderen schöpfen und haben aber auch die Möglichkeit, Rückzugsmöglichkeiten zu nutzen, um zur Ruhe zu kommen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist es, den Angestellten eine Vielzahl an Arbeitsplatzkonfigurationen zu bieten, die sowohl eine entspannte und erholsame Sitzhaltung als auch Sitzpositionen für die unterschiedlichsten Arbeitsweisen bieten und natürlich die entsprechende Bewegungsfreiheit während des Arbeitsalltags gewährleisten.

Schließlich muss der Arbeitsplatz eine ganze Reihe von Präsenzmöglichkeiten abdecken, um dem Bedürfnis nach Zusammenarbeit innerhalb der persönlichen Grenzen gerecht zu werden. Das bedeutet, dass die Interaktion der Teams einfach vonstatten gehen soll, egal ob sich die Teilnehmer persönlich oder per Kommunikationstechnologie zusammenfinden.

Die Ergebnisse aus den Studien legen nahe, dass eine erfüllende Aufgabe sich durch die Möglichkeiten und Prozesse definiert, die es Menschen ermöglichen, ihr Bestes zu geben, indem sie sowohl individuell als auch durch die Zusammenarbeit mit anderen agieren können. Weltweit wächst das Bewusstsein dafür, dass Privatsphäre am Arbeitsplatz nicht nur als Statussymbol oder Belohnung ausgesuchter Mitarbeiter betrachtet werden darf, indem man Einzelbüros an einige wenige verteilt. Stattdessen müssen private Räume für alle Mitarbeiter des Unternehmens geschaffen werden, in allen Ländern, für alle Funktionen und alle Hierarchieebenen. Der unternehmerische Vorteil liegt dabei auf der Hand: höhere Motivation, engere Zusammenarbeit, mehr Produktivität, verbessertes Wohlbefinden der Belegschaft und letztendlich ein Tempo und Ausmaß an Innovation, das heutigen Unternehmenserfolgen den entscheidenden Schritt nach vorne ermöglicht.


Der Lösungsansatz für mehr Privatsphäre


Themenvertiefungr

Wenn Sie mehr über die spannende und aufschlussreiche Arbeit von Vordenkern, auf die wir uns in diesem Artikel bezogen haben, erfahren möchten, so finden Sie hier eine Liste der von uns verwendeten Quellen:

Buch: Your Brain at Work by David Rock
Gallup-Bericht: „State of the Global Workplace“
Publication: „Interruptions and multitasking research“ von Gloria Mark, Ph.D.


Vorstellung neue Forschungen zum Mitabeiterengagement und Arbeitsplätze in aller Welt

Mehr als ein Drittel der Beschäftigten weltweit sind nicht engagiert. Im Rahmen dieser außergewöhnlichen Untersuchung hat Steelcase mit dem internationalen Forschungsinstitut Ipsos zusammengearbeitet, um die wichtigsten Einflussfaktoren auf das Engagement der Mitarbeiter und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz definieren und bewerten zu können.

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